Jugend-Visionssuche 

Begleittext aus dem Handbuch für Jugend-Visionssuche von Steven Foster & Meredith Little, School of Lost Borders, US www.schooloflostborders.org

„Hinter dem Horizont“ ist der eindrückliche  Dokumentar-Film über eine unserer Jugendvisionssuchen in den Bündner Bergen . 

Die Regie hat  Marianne Eggenberger, herausgekommen ist er 2013 bei www.einhornfilm.ch


Begleittext über die Jugend-Visionssuche als Übergangsritual der School of Lost Borders


Übergangsrituale in und mit der Natur wie z.B. eine Visionssuche machen Schritte in der eigenen Entwicklung bewusst und die persönliche Ausrichtung wird klarer ersichtlich. Das Ritual dient als Gefäss, welches diese Prozesse stützt und hält. Ein Übergangsritual besteht aus vier Phasen. Auch in alten Mythen und Märchen sind die Erzählungen in diese Abschnitte gegliedert.


Phase 1: Trennung

Seit Jahrtausenden wurden junge Menschen aufgefordert, Abschied zu nehmen von dem Gewohnten, von der Familie, den Freunden, um aufzubrechen und sich der Prüfung zum Erwachsen werden zu stellen. Diese Prüfung bedeutet, alleine, ohne Essen und Schutz, drei Tage und drei Nächte in der Wildnis zu leben. 

Du als Jugendliche/r trennst dich von der Mutter und/ oder vom Vater und von dem Haus, in dem du als Kind gelebt hast.

Du musst dich darauf vorbereiten, alleine zu sein. Es ist ein symbolischer Abschied von deiner Kindheit, um deine eigene Form vom Erwachsensein zu finden. Sei bereit, deinen Ängsten zu begegnen, wenn dein gewohntes Sicherheitsnetz wegfällt.


Phase 2: Schwellenzeit (Solozeit)

Du überschreitest eine Grenze (Schwelle) und die Trennung ist vollzogen. Du bist allein, ohne Nahrung und mit dem notwendigen Schutz in der Wildnis. Die Welt hinter der Schwelle ist kostbar, heilig. Alles was dir dort passiert ist wertvoll, alles was du tust ist von Bedeutung. Alle deine Sinne unterstützen dich, um die Erfahrungen in der Natur wahr- und aufzunehmen. 


Phase 3: Integration

Bei deiner Rückkehr aus der Welt jenseits der Schwelle, bist du auf dem Weg, die neu gewonnenen Erfahrungen in dein Leben zu integrieren. Du hast nun symbolisch den Schritt in das Leben einer jungen Frau, eines jungen Mannes vollzogen und wirst die Erkenntnisse und Schätze von diesem Ort und von deiner Visionssuche in die Welt und zu Freunden, Familie und Arbeit hinaustragen. Im Kreis der Teilnehmer*innen und dem Team wirst du deine Geschichte erzählen. 


Phase 4: Erkenntnis

Ein Teil von dir wird sich fragen, ob nicht alles ein Traum gewesen ist! Ein anderer Teil wird sich erinnern und dich stärken, wenn sich auf deinem Weg Lebenskrisen zeigen. Die Visionssuche kann voller Bedeutung und Kraft sein für deine eigene individuelle Art, wie du dein Leben in die Hand nimmst. Zur richtigen Zeit kann so der Samen aufgehen.


Plane deine eigene Zeremonie

In der Zeit des Übergangs, alleine und ohne Nahrung, wirst du deine eigene Zeremonie abhalten, deine persönlichen Symbole verwenden, deine Gebete sprechen, deine Lieder singen. Nichts zwingt dich, jemand anderer zu sein als der/die du bist.


Wie geht das Überleben in der Wildnis?

Alle Übergangszeremonien bedeuten in irgendeiner Form Mühe, Gefahr oder Prüfung. Bereite dich vor, einen Zeitraum von drei Tagen und Nächten körperlich, geistig und seelisch in der Wildnis zu überstehen. Die Natur ist unvorhersehbar, ihre Kräfte übersteigen unser Fassungsvermögen. Durch den Mut, dich diesen Kräften auszusetzen, kannst du sehr intensive Erlebnisse haben, z.B. die Verbundenheit mit dir, der Natur oder dem Göttlichen. Es ist aber auch eine Begegnung mit deinen Ängsten möglich.

Die Angst hat eine Aufgabe, ihre Warnungen sind oft lebensrettend. Vergiss nicht, dass auch die Angst zu Klarheit und Weisheit des Herzens und deines Verstandes führen kann.

















Vorzeitige Rückkehr

Hat man versagt, wenn man vor Ablauf der Schwellenzeit zurückkehrt? Im Gegenteil, bei der eigenen Einschätzung der Visionssuche gibt es keinen Erfolg und kein Versagen. Es kann sein, dass du durch deine Erfahrung in der Schwellenzeit zu grösserer Klarheit über dein Selbstbild gekommen bist als die, die nicht früher zurückkommen. Vielleicht bist du gerade rechtzeitig zurückgekehrt, um überleben zu können, um auf das Verständnis zu stossen, das du brauchst, um weiter zu wachsen. Es gibt viele gute Gründe, um früher zurückzukehren. An erster Stelle steht hier deine eigene Einschätzung deines Gesundheitszustandes, deiner psychischen Stimmung und deines seelischen Wohlbefindens.


Dein Platz auf der Erde

Nach vier Tagen Vorbereitung gehst du auf die Suche nach deinem Kraftplatz. An diesem Ort wirst du die Zeit draussen verbringen. Dieser Platz auf der Erde auf dem du stehst, sitzt, dich hinlegst, kann fast überall sein, solange du dort bist und ihn mit deinem Geist und deinem Dasein belebst. 

Während der Zeit draussen trägst du eine besondere Verantwortung der Pflanzen- und Tierwelt gegenüber. Du bist ein Teil dieses vielfältigen Lebens, und eingeladen, es zu achten. 

Hier hast du Zeit, der/die Beobachterin in dir zu schulen und zu entwickeln. Schau dir selber bei deinem Denken und deinem Handeln zu, ohne zu urteilen, so wie ein Astronaut, der die Erde von aussen betrachtet. Diese/r Beobachter/in ist ein wichtiges Instrument, welches du in deine Alltagswelt mit zurücknimmst.


Das Sicherheitssystem

Zum Sicherheitssystem gehört ein „Buddy“. Das ist ein/e andere/r Teilnehmer/in der Visionssuche, der/ die während dieser Zeit dein unsichtbarer Partner sein wird. Obwohl ihr euch (ausser im Notfall) nicht seht, überprüft ihr jeden Tag das Wohlergehen des andern. In der Mitte der beiden Plätze wird ein kleiner Steinkreis errichtet. Dort wirst du täglich ein Zeichen hinterlegen, dass es dir gut geht.

In den Vorbereitungstagen erhältst du für die drei Tage, die du draussen bist, die wichtigsten Informationen im Umgang mit Tieren, Ängsten, Wetter, Gewitter und Gelände.

Das Leitungsteam gibt dir vom Basislager aus Unterstützung und wartet dort auf dich, bis du von deinem Platz in den Bergen zurück kommst.


Das Fasten

Fasten ist ein altes Ritual, um Klarheit zu erlangen. In vielen Traditionen und Religionen wurde das Fasten zur Stärkung der eigenen Kraft und zur körperlichen, geistigen und spirituellen Reinigung praktiziert. 

Fasten bis zu einer Woche ist gut machbar, und für viele, die sonst nie daran gedacht hätten, eine gute Erfahrung des eigenen Leerseins.


Gebet für eine Vision

Das stärkste Gebet kommt nicht von jemand anderem, nicht aus einem Buch, es kommt aus deinem eigenen Herzen .

Lieder, Gesänge, Tänze, Töne, selbst Tränen und Schweigen können Gebete sein. Der Gott, der Geist, die Kraft, die du anrufst, ist innerhalb und ausserhalb von deinem Kreis. Deine Gebet müssen nicht unmittelbar erhört werden. Die Antworten zeigen sich am besten in deinen Handlungen nach der Rückkehr in dein Alltagsleben. 

Eine Vision kann sich ganz unterschiedlich zeigen. Am besten ist, wenn du möglichst offen bist und dich so wenig wie möglich mit bestimmten Vorstellungen oder Erwartungen einengst. 


Zurückkehren

Wenn du deinen Platz verlässt, verwischst du die Spuren deines Aufenthaltes.

Während du deinem Kraftplatz den Rücken zukehrst und zum Treffen mit deinem Buddy gehst, wirst du dich wahrscheinlich fragen, in was für eine Welt du zurückkehrst. Warum willst du überhaupt zurück? 

Du hast in der Tiefe ausgelotet, was es heisst, ein Mensch auf dieser Erde zu sein. Die Visionssuche deines Lebens hat begonnen. 


Vorzeitige Rückkehr

Hat man versagt, wenn man vor Ablauf der Schwellenzeit zurückkehrt? Im Gegenteil, bei der eigenen Einschätzung der Visionssuche gibt es keinen Erfolg und kein Versagen. Es kann sein, dass du durch deine Erfahrung in der Schwellenzeit zu grösserer Klarheit über dein Selbstbild gekommen bist als die, die nicht früher zurückkommen. Vielleicht bist du gerade rechtzeitig zurückgekehrt, um überleben zu können, um auf das Verständnis zu stossen, das du brauchst, um weiter zu wachsen. Es gibt viele gute Gründe, um früher zurückzukehren. An erster Stelle steht hier deine eigene Einschätzung deines Gesundheitszustandes, deiner psychischen Stimmung und deines seelischen Wohlbefindens.


Das Treffen mit der Gruppe - Spiegeln

Deine Begleiter sind dir nicht über die Schwelle gefolgt. In gebührendem Abstand haben sie auf dich gewartet und sich um die Sicherheit und das Wohlergehen der Teilnehmer/innen gekümmert. 

Du kannst, wenn du das möchtest, deine Eltern oder eine für dich wichtige stellvertretende Bezugsperson zu deiner Rückkehr einladen. Im Kreis der Teilnehmer, dem Team und den Eltern wirst du deine Geschichte erzählen.


Heimkehr

Die Visionssuchenden werden nun eingeladen, freiwillig und bewusst in die soziale Gemeinschaft zurückzukehren, versehen mit kostbaren, persönlichen neuen Kenntnissen.

Viele Menschen fühlen sich nach einem solchen Aufenthalt in der Natur sehr dünnhäutig. Sei achtsam in deinen Begegnungen. Während du weg warst, lief das Leben deiner Angehörigen und deiner Freunde normal weiter, vielleicht sind sie an deinen Erfahrungen interessiert, vielleicht aber auch nicht. Sprich nicht zuviel über deine Erlebnisse und behalte sie kostbar. Andererseits können echtes Interesse und Fragen dir zu einem tieferen Verständnis deiner Erlebnisse helfen. Die Integration des Erlebten braucht Zeit, oftmals machen Erlebnisse erst viel später wirklich Sinn und spenden dann wirksam ihre Kraft.


Begleitung

Im Spätherbst findet über ein Wochenende (Fr - So) ein Nachtreffen mit deiner Gruppe statt. Erfahrungsgemäss stärken und ermutigen sich hier die Teilnehmer*innen im vertrauten Kreis gegenseitig. Das sorgfältige Umgehen mit deinen Erlebnissen in dieser ersten Zeit nach der Visionssuche kann wegweisend für die Umsetzung deiner Erkenntnisse sein. 

Die Leiter*innen sind für die Teilnehmer*innen der Jugendvisionssuche bei wichtigen Fragen telefonisch, per Email und allenfalls persönlich, während mindestens einem darauffolgenden Jahr erreichbar.


Quelle : Aus dem Handbuch für Jugendvisionssuche von Steven Foster und Meredith Little, School of Lost Borders, USA übersetzt von Haiko Nitschke, D, zusammengefasst und ergänzt von Brigitte Käsermann und Yvonne Läubli, Visionssucheleiterinnen, CH